Heute wissen wir, dass es in jedem Dorf im Grenzgebiet Personen gab, die die Familien auswählten, die also bestimmten, welche Familien zwangsausgesiedelt werden sollten. Jetzt weiß ich, dass diese Aktion unter dem Decknamen "Ungeziefer" lief und die Menschen an der Zonengrenze einschüchtern und für die weiter Umgestaltung der Landwirtschaft im Sinne der SED gefügig machen sollte. Die Auswahl der zwangsauszusiedelnden Personen oblag in erste Linie der Volkspolizei, denn die führte über jede Person Unterlagen, in denen Äußerungen oder Meinungen von jedem festgehalten wurden. Hinzugezogen wurden die örtlichen Organisationen, wie Parteigruppe, Gewerkschaftskader, inoffizielle Mitarbeiter des MfS und der Bürgermeister. In unserem Dorf hatten elf Familien diesen Befehl der Regierung erhalten, darunter die zwei Gastwirte, also unsere Familie und die Familie Knauer. Am 6. Juni 1952 wurden 29 Personen in Lastwagen nach Sonneberg zum Abtransport gebracht. Dies hört sich sehr sachlich an, war aber für alle eine schlimme Situation, ein totaler Einschnitt in ihrem Leben und eine Lebenswende nicht zum Besseren. Es war ein Lebensbruch, nach dem sich jeder neu orientieren mußte.- Dies haben wir zu dieser Zeit natürlich noch nicht erfasst. Die unmittelbaren Ereignisse ließen uns nicht so weit denken.
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