Auch meine berufliche Entwicklung wurde immer wieder behindert. So ist es mir nicht gelungen, eine Fachschule zu besuchen. Die Kaderleitungen meiner jeweiligen Arbeitsstellen nahmen unter fadenscheinigen Begründungen Bewerbungen zur Studiendelegierung nicht an. So ging es mir in drei verschiedenen Betrieben, bis ich endlich begriffen hatte, dass meine Bemühungen erfolglos waren und wahrscheinlich auch bleiben würden. Erst durch die Einsichtnahme in unsere Stasiakten nach der Wende, hatten wir die Befürchtungen, immer beobachtet und in unserem Fortkommen behindert worden zu sein, bestätigt gefunden. Wir hatten es schwarz auf weiß in der Hand. Meine Eltern mussten erfahren, dass der Besitz eines Hauses in der DDR noch lange nicht bedeutet, auch dort zu wohnen. Zunächst musste eine Tauschwohnung für die Mieter des nun eigenen Hauses gefunden werden. Erst Anfang der siebziger Jahre zogen meine Eltern in ihr Haus am Saaleufer ein. Sie waren sehr glücklich im eigenen Heim. Der Makel der Zwangsaussiedlung haftete ihnen nun nicht mehr an. Es fragte keiner, mehr warum sie hier wohnten. Als sozial gleichgestellte Nachbarn wurden sie akzeptiert. Sie verbrachten noch glückliche und zufriedene Jahre in ihrem Haus, zumal die mit ihnen zwangsausgesiedelten Verwandten in der Nähe wohnten. Manche gute Stunde verbrachten mein Vater und sein Cousin Oswald gemeinsam auf der Gartenbank hinter dem Haus. Oft sinnierten über die Zeiten, in denen sie noch Bauern waren. Keiner von ihnen hätte es sich träumen lassen, einmal als Senior in Jena zu wohnen.
| Oswald und Vater auf der Wiese |
Über die Umstände der Zwangsaussiedlung wurde nicht mehr gesprochen. Beide hatten Enkelkinder, selbst diese nachgewachsene Generation wusste von dem Vorleben ihrer Großeltern nichts. Erst als unser Sohn 20 Jahre alt war, erzählte ihm sein Großvater von der Zwangsaussiedlung entlang der innerdeutschen Grenze. Er berichtete von seinen Vorfahren, die alle seit Jahrhunderten seßhafte Bauern in Heubisch gewesen waren.Er zeigte ihm ein Bündel Akten, die er mit ihm durchsah. Es waren Grundbuchauszüge aus der Flur von Heubisch, Erbangelegenheiten und etliche andere amtliche Papiere. Auch ein in Sütterlin geschriebenes Tagebuch meines Großvaters übergab er ihm mit den Worten: "Du wirst die Einheit Deutschland noch erleben und deshalb vertraue ich Dir diese Urkunden und Dokumente an. Du musst wissen, deine Wurzeln sind in diesem Dorf, da wirst du einmal Grundbesitz haben. Ich bin schon alt, Deine Eltern werdes es auch nicht erleben, aber deine Generation wird wieder in einem Deutschland leben." Meine Eltern haben die Einheit Deutschlands nicht mehr erlebt, der Vater starb 1980 72-jährig, unsere Mutter starb 1987 mit 75 Jahren. 1990 übergab uns unser 32 -jähriger Sohn das Aktenbündel, das schon etwas vergilbt war mit den Worten:" So, nun kümmert ihr euch darum, das ist eure Angelegenheit."
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